Zunächst ist wichtig festzuhalten, daß Pater Kentenich das Michaelskapellchen von Schönstatt nicht geschaffen hat, sondern es in seiner baulichen Existenz und Beschaffenheit vorfand. Im äußeren Rechtsbereich wurde er persönlich auch nie in dem Sinne zuständig, daß er wie ein Eigentümer eine letzte Verfügungsgewalt erhalten oder beansprucht hätte. Zuständig im Rechtsbereich war letztlich immer die Provinz der Pallottiner in Limburg.
Die wesentliche Leistung Pater Kentenichs war diese: Er hat entdeckt und die Überzeugung gewonnen, daß die Gottesmutter das Friedhofskapellchen als ihr Heiligtum erwählen will. Durch sein Mitwirken das man inhaltlich näher bestimmen könnte hat er es als Gnadenkapellchen grundgelegt und es dann gekündet als ein Heiligtum mit einer ganz besonderen und ganz spezifischen Eigenart und Funktion.
Trotzdem sollen vorweg über die Geschichte des äußeren Rechtsbereiches einige Angaben gemacht werden; dann kann im weiteren Fortgang der Darstellung zur Geschichte des Heiligtums diese mehr juristische Frage außer acht gelassen werden.
Scharfe zeitliche Abgrenzungen sind kaum möglich, doch kann man in etwa die folgenden drei Phasen unterscheiden: die Zeit bis 1919; die Zeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg; die Zeit danach.
Bis 1919 war für das Kapellchen im äußeren Bereich selbstverständlich der Eigentümer uneingeschränkt zuständig, der vom Kauf 1901 an die Gesellschaft der Pallottiner in Limburg war, vertreten durch ihre Leitung. Deswegen wandte sich der Spiritual, Pater Kentenich, an seinen Provinzial, als er 1914 die Kapelle als Versammlungsraum für die Marianische Kongregation wünschte. Daß er sich nach der Rechtslage verhielt, bezeugt eine Bemerkung in einem Brief an Josef Fischer vom 21.4.1916, als dieser für das Kapellchen Kreuzwegbilder stiften wollte: „Freilich habe ich darüber nicht zu entscheiden.“
Ab 1919 änderte sich die Praxis. Der zuständige Provinzial Pater Kolb sicherte feierlich dem neuen Apostolischen Bund die freie Nutzung des Alten Hauses und des Heiligtums zu. Pater Kentenich wurde Bundesleiter, und als solcher mußte er sich auch um die äußeren Belange dieser zwei Gebäude kümmern.
In einem knapp gehaltenen Brief vom 5. Mai 1953 an Pater Mühlbeyer erinnert Pater Kentenich selbst an die Geschichte des Rechtszustandes:
Es „sei daran erinnert, daß ich von Anfang an (Anmerkung: gemeint ist seit 1919 als Bundesleiter) das Kapellchen in meiner Verantwortung hatte, das heißt, daß der Bundesleiter von Anfang an dafür die Verantwortung hatte, daß er sie aber schon früh erst P. Kolb und sodann Ihnen übertragen hat. Was deswegen mit seiner Zubilligung im Kapellchen geändert wurde, ist rechtlich in Ordnung. Sicherlich ist es wahr, daß die Sorge für das Heiligtum wenigstens implicite in Abhängigkeit von der Provinz in die Hände des Bundesleiters gelegt worden ist. Da aber nicht abgegrenzt war, wie weit das Provinzialat selber unmittelbar bei diesen Dingen mitregieren wollte, hat sich mit der Zeit ein Rechtszustand entwickelt, wonach praktisch die letzte Verantwortung in der Hand des Bundesleiters lag, und da das Provinzialat keine Rechte reklamierte, wurde der Zustand schlechthin und selbstverständlich als legal aufgefaßt …“
Dieser Zustand blieb in etwa bis nach dem Zweiten Weltkrieg, was sich beispielsweise beim Genehmigungsverfahren zeigte, als in den Nachkriegsjahren etliche Symbole im Heiligtum abgeändert oder neu aufgestellt wurden: der erneuerte Lichtrahmen um das MTA-Bild durch die Frauen von Schönstatt, die Änderungen am und im Tabernakel durch die Frauenliga, das neue Weihwasserbecken durch das Flüchtlingsapostolat, usw.
In diesen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es allmählich anders: Einerseits wollte sich die Provinzleitung von Limburg selbst und unmittelbar mehr um das Heiligtum kümmern; andererseits nahm die Sorge für das Heiligtum aber auch insgesamt etwas ab, so daß es in dem genannten Brief Pater Kentenichs vom 5.5.1953 heißt: „Ganz abgesehen davon, daß das warme Interesse an der Ausstattung des Urheiligtums schon längere Zeit am Schwinden ist.“ Einschneidende Veränderungen und Diskussionen kamen jedoch erst nach dem Tod von Pater Kentenich in den Mittelpunkt des Interesses.