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1. Der Krieg ein außergewöhnliches Förderungsmittel

„Der Ernst der Zeit“, so las ich jüngst in einem Tagesblatt (Köln. V. 1914/883), „ist eisern, wie das Schwert in den Händen unserer Krieger ernst ist.“ Darum heißt es jetzt, diese große Stunde, für die wir Gott danken müssen, auszunutzen ...

Gelingt es nun, den ungeheuren religiösen Gewinn aus dieser Notzeit zu ziehen, den sie bringen könnte, so wird sie eine wahre Gnaden- und Gotteszeit werden. Lassen wir aber diesen großen und geradezu entscheidenden Augenblick unbenutzt vorübergehen, so wird kein anderer, ebenso günstiger in absehbaren Jahren wiederkehren ...

Und wie ernst man draußen mit dieser Wahrheit rechnet, beweist die Tatsache, daß in manchen Städten das Bonner Komitee für Vorträge (und andere Kreise) sich anschicken, in diesem Sinne öffentliche Abende zu veranstalten für innere Erneuerung des Volkes.

Es muß also wohl etwas Wahres an meiner ersten Behauptung sein. Das wird noch unzweifelhafter, wenn ich ihr eine andere, verständlichere Fassung gebe. Der Krieg ist eine gewaltige Volksmission oder – auf uns angewandt – ein überaus eindringlicher Exerzitienkursus. Der Erfolg dieser Exerzitien muß um so größer sein, als der Exerzitienmeister der unendliche Gott selbst ist, der beste Kenner des Menschenherzens. Die Form, in der er zu uns spricht, ist nicht das Wort, sondern eine grandiose Tat, eine ungemein packende dramatische Handlung, bei der wir alle irgendeine Rolle mitzuspielen haben.

Der Krieg läßt die Kraft erscheinen, alles erhebt er zum Ungemeinen.

Akt um Akt, Szene um Szene spielt sich vor unseren zitternden Augen auf der großen europäischen Weltenbühne ab. Und je weiter die Handlung fortschreitet, desto unwiderstehlicher stürmen die großen Exerzitienwahrheiten auf uns ein:

Der Mensch ist seinem innersten Wesen nach total abhängig von Gott. Je mehr und erfolgreicher aber die moderne Menschheit an dem Turme ihrer Kultur arbeitete, desto selbstherrlicher gebärdete sie sich. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo der Allgewaltige zornsprühend vom Himmel steigt, um selbst seine Hoheitsrechte zu wahren. In furchtbarer Majestät zeigt er sich den zitternden und bebenden Völkern. Aus dem Donnern und Blitzen der Kanonen, aus der Erschütterung der Erde klingt seine Stimme wie ehemals auf Sinai aus dem Getöse empörter Naturgewalten: Ich bin der Herr, dein Gott! Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.

Und wie vom Blitze getroffen, knickt plötzlich die stolze Selbstherrlichkeit des modernen Menschen zusammen. Im Bewußtsein der eigenen Unzulänglichkeit stöhnt er gleich dem sterbenden Riesenschiff Titanic zum ewigen Schlachtenlenker empor: Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir; das soll die Losung sein, das mein Panier.

Mit ehernem Griffel hat die quälende Sorge sich in Antlitz und Herzen der Adamskinder eingeschrieben. Selbst das Leben ist furchtbar billig geworden, billig wie die Sperlinge, von denen man zwei um einen Pfennig kauft. Nein, nein: das Leben ist der Güter höchstes nicht. Von den Werken menschlicher Hände gar nicht zu reden. Heute bestehen, morgen vergehen sie. Vanitas vanitatum! et omnia vanitas.

Wie nie zuvor tritt nun die Neuzeit mit gebogenem Knie und gefalteten Händen vor ihren verkannten Gott hin und schlägt demütig an die Brust: Vater, ich rufe dich! In deine Hände befehle ich mein Leben! Vater, du segne mich, wenn mich die Donner des Todes begrüßen!

Ein Bild, würdig des Pinsels eines Raffael; eine Szene, so plastisch und drastisch, wie wir sie unser ganzes Leben noch nicht gesehen. Lassen wir die ganze Szenerie auf unser Herz und Gemüt wirken. Stellen wir hinein, fügen wir hinzu all die kleinen Erfahrungen, die wir selbst gemacht.

Vielleicht hat sich uns selbst das Herz krampfhaft zusammengepreßt in der Sorge um ein teures Leben oder um das tägliche Brot oder um unsere eigene Zukunft. Vielleicht können wir zurückblicken auf unvergeßliche Augenblicke, in denen unsere Mitmenschen ihre rührende Abhängigkeit gen Gott an den Tag legten.

Wie ein Wirbelwind wirkte die Mobilmachung auf dem Lande. Alles drängte hin zum Beichtstuhle und zur Kommunionbank. Und wo die Zeit nicht ausreichte, da mußte der Pfarrer wenigstens noch seinen priesterlichen Segen spenden. Harte, verstockte Männerherzen wurden wie Wachs. Wahrlich, da war das Beichthören leicht, leichter als bei irgendeiner Volksmission. Männer, die Jahrelang von Kirche und Gott nichts mehr wissen wollten, gingen in sich.

Da wird in einem Luftkurort an der Sieg (Eitorf) ein vornehmer Herr zu den Waffen gerufen. Als sein Kind zur ersten heiligen Kommunion ging, begnügte er sich damit, es vor der Kirche abzuholen, hineingehen wollte er nicht. Jetzt ruft er dem ihn begleitenden Volke zu: „Betet für mich, daß die Kugel mich nicht trifft.“

Ein Unteroffizier erzählte mir kürzlich: Wenn man da mitten im Kugelregen steht, rechts und links fällt ein Kamerad nach dem anderen, und wenn man dann nach der Schlacht seine Bekannten sucht und so und so viele nicht mehr findet, da stehen einem die Tränen näher als etwas anderes. Da lernt man wieder beten! Und gerade solche, die als Zivilisten am wenigsten von unserem Herrgott wissen wollten, klammern sich jetzt am meisten an ihn.

Und die Zurückgebliebenen: Wir alle sind Zeugen gewesen, wie die Kirchen an Werktagen mehr besucht wurden von den Männern als sonst am Sonntag.

Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir, das soll die Losung sein, das mein Panier.

Der Vorhang fällt. Die erste Szene ist zu Ende.

Doch wenden wir unser Auge einer anderen Szene zu. Wie in der ersten, so ist auch hier wiederum die Hauptperson Gott.

Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Lange hat der Allmächtige und Allheilige geschwiegen zu den Sünden der Völker und Fürsten. Nun aber ist das Maß der Geduld voll. Von den Völkern, die sich jetzt befehden, werden einige Hammer, andere Amboß sein. Wir werden schlagen oder geschlagen werden – aber der Meister, der jetzt in der Werkstätte Europas steht und die Völker schmiedet, ist Gott, der Gesetzgeber und Rächer der sittlichen Weltordnung. Ohne Sünde gäbe es keinen Krieg. Das gilt ganz allgemein, läßt sich besonders unzweifelhaft vom jetzigen Völkermorden nachweisen. Qualis effectus, talis causa - wie die Wirkung, so die Ursache. Aus der Wirkung läßt sich ein vollberechtigter Rückschluß auf die bewirkende Ursache machen. Das ist ja auch der Gedankengang, der den Exerzitienbetrachtungen über die Bosheit und Verwerflichkeit der Sünde zugrunde liegt. Wenn uns da die Sünde abstrakt dargestellt würde als eine unendliche Beleidigung des unendlichen Gottes, dann brächten wir ihr bei unserer sinnlichen Natur nicht das rechte Verständnis entgegen. Um uns das zu vermitteln, wird das unsägliche Elend geschildert, das der Krieg über die Nationen bringt, und dann gesagt: „Seht, welch ein verabscheuungswürdiges Übel die Sünde sein muß, die solche schrecklichen Folgen nach sich zieht.“

Gerade so macht es heute der liebe Gott mit uns – aber in unnachahmlich wirksamer Weise.

Wir werden doch nicht so einfältig sein, daß wir das, was wir hier im Hause sehen, als eigentliches Kriegselend betrachten. (Anmerkung: Seit Kriegsausbruch war das neue Studienheim in ein Lazarett umgewandelt worden.) Hier sind ja nur die Rekonvaleszenten.

Um einen tieferen Einblick zu gewinnen, müssen wir näher an die Grenze oder aufs Schlachtfeld gehen, wir müssen hinausziehen in die Familien und dem Volke tief in die Seele hineinschauen.

O könnte ich Ihnen doch in rechter Weise schildern all den Trennungsschmerz unserer Frauen und Mütter, von ihrem verzweifelten Leid bei eintreffender Nachricht von schwerer Verwundung. Da kommt eine Mutter ihren verwundeten Sohn besuchen! Der Junge weint. Ei, so tröstet die Mutter, sei doch zufrieden, daß du so gut weggekommen bist. Sie sah nur eine kleine Verwundung am Gesicht. Der Junge weint heftiger, schlägt die Decken zurück: Beide Beine sind ihm abgenommen. – Die Mutter hat den Verstand verloren.

Könnte ich die Ströme Blutes, die die Schlachtfelder düngen, und das Meer von Tränen, das geweint worden, hierherleiten, könnte ich all die ermordeten Helden, die in der Blüte der Jahre standen, könnte ich alle zerschossenen Knochen, die abgeschlagenen Körper und Gliedmaßen hier zusammentürmen, könnte ich – doch nein, ich kann das Bild nicht ausmalen. Ihre Phantasie ist noch jugendfrisch und lebhaft. Lassen Sie ihr freien Spielraum. Tragen Sie alles zusammen, was sich Schreckliches ersinnen läßt, und schreiben darüber: Das ist die Sünde.

Ja, meine lieben Sodalen! Das ist auch meine Sünde, die wie ein roter Faden mein Leben durchzieht. Tantillus puer – tantus peccator! (Anmerkung: Ein so kleiner Knabe – ein so großer Sünder.) Das sind die Sünden meiner Eltern und Ahnen! Herr Gott! Es tut mir leid, daß ich gefehlt habe. Nie, nie mehr soll es wieder geschehen!

Das ist die Sünde, der wir als Priester den Krieg erklärt haben bis aufs Messer, in deren Vernichtung und Sühnung unsere Lebensaufgabe besteht. O mein Gott! Ich danke dir für diesen herrlichen Beruf. Meine ganze Kraft will ich einsetzen, um ein würdiges Werkzeug in deiner Hand zu werden.

Hier wollen wir einen Augenblick innehalten und hören, was die Stimme Gottes von uns verlangt. Hodie si vocem ejus audieritis, nolite obdurare.

Loquere, Domine, loquere quia audit servus tuus. Herr Gott, lehre mich dich erkennen, lehre mich mich erkennen, sprach ein großer Mann und wurde ein Heiliger. Herr Gott, lehre mich dich, lehre mich mich erkennen! Dieselbe Erkenntnis wird auch unser Streben nach Heiligkeit wunderbar befruchten.

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