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Gründungsurkunde vom 18. Oktober 1914

Programm: Beschleunigung der Entwicklung unserer Selbstheiligung und dadurch Umgestaltung unseres Kapellchens in ein Wallfahrtskapellchen.

Zunächst begrüße ich Sie seit langer Zeit wieder mit dem schönen Gruße: Nos cum Prole pia benedicat Virgo Maria. Es ist das erste Mal, daß dies Sodalenwort an dieser Stätte erklingt. Möge es weiterklingen, weiterrauschen alle kommenden Zeiten hindurch.

Vater und Mutter und Kinder freuen sich, so sie ein eigenes Heim beziehen können, selbst wenn dieses im Vergleiche zu der verlassenen prächtigen Mietswohnung nur unansehnlich und ärmlich wäre. Der Gedanke: Das Haus gehört uns, wiegt alle anderen Vorteile reichlich auf. Diese reine Familienfreude dürfen auch wir heute genießen. Dieses Kapellchen gehört unserer kleinen Sodalenfamilie, an deren Spitze unsere himmlische Mutter waltet. Es gehört ganz uns, nur uns. Neidlos überlassen wir anderen die schönere Hauskapelle, unsere bisherige Mietswohnung. Wir freuen uns, und diese Freude lassen wir uns von niemand nehmen. Nebst der Freude läßt heute aber auch ein Gefühl berechtigten Stolzes unsere Herzen höher schlagen. Denn das Heiligtum, das seit Menschengedenken mehr oder weniger verlassen, öde und leer dastand, ist durch uns, auf unsere Veranlassung hin restauriert und der Muttergottes geschenkt worden. Wenigstens seitdem Pallottiner hier wandeln und handeln, sahen diese Wände keine schönere Ausstattung als heute. Dürfen wir wohl in dieser erfreulichen Tatsache eine günstige Vorbedeutung finden für die künftige Entwicklung unserer jungen Kongregation?

O gewiß! Es wäre ein erhabenes Werk, des Fleißes und Schweißes der Edelsten wert, wenn wir Sodalen es fertig brächten, eine glühende Marienliebe und ein ideales, studentisches Tugendstreben in unsere Anstalt hineinzutragen, wie es bisher noch nie dagewesen.

Doch warum drücke ich mich so zaghaft, so zurückhaltend aus? Habe ich das Vertrauen zu Ihnen verloren? Wohl sind nur noch die Trümmer unserer blühenden Kongregation vorhanden. Bald aber wird aus den Ruinen neues Leben sprießen. Dafür bürgt mir Ihre vorjährige treue Mitarbeit und der echte marianische Geist, den Sie sich angeeignet. Wohl mögen während der Ferien unter dem Rauch und Staub des Alltags manche Ideale abgebröckelt sein, wohl mag da mancher Grundsatz, den wir im Laufe des Jahres gefaßt und für unabänderlich hielten, die Probe auf das praktische Leben nicht bestanden haben. Aber eines ist uns geblieben – dessen bin ich sicher: Es ist die Überzeugung, daß ein echter Sodale und wahre standesgemäß sittlich-religiöse Größe voneinander unzertrennbar sind. Und wie am Schlusse vorigen Schuljahres, so beseelt uns auch heute der Wille zum Siege, zur Erreichung unseres Kongregationsideals. Nein, meine lieben Sodalen, ich habe nicht das Vertrauen zu Ihnen verloren. Ich weiß, daß wir, aufbauend auf das bisher Erreichte, in diesem Jahre große Fortschritte machen werden, so wie wir es uns im vorigen Jahre vorgenommen.

Diese langsame Entwicklung unserer Berufsgnade und der dadurch herbeigeführte höhere Grad des religiösen apostolischen Geistes ist aber auch nicht das, was ich Ihnen zum Ziele setzen möchte. Meine Forderung geht ungleich höher. Jeder von uns muß den denkbar höchsten Grad standesgemäßer Vollkommenheit und Heiligkeit erreichen. Nicht schlechthin das Große und Größere, sondern geradezu das Größte sollte Gegenstand unseres gesteigerten Strebens sein.

Sie werden verstehen, daß ich eine solche außergewöhnliche Forderung nur in Form eines bescheidenen Wunsches vorzutragen wage.

Wenn Sie aber den Urheber dieses Wunsches wissen wollen, dann darf ich Ihnen wohl eine stille Lieblingsidee kundtun.

Als Petrus die Herrlichkeit Gottes auf Tabor gesehen, rief er entzückt aus: Hier ist wohl sein. Lasset uns hier drei Hütten bauen. Dieses Wort kommt mir wieder und wieder in den Sinn. Und des öfteren schon habe ich mich gefragt: Wäre es nun nicht möglich, daß unser Kongregationskapellchen zugleich unser Tabor würde, auf dem sich die Herrlichkeit Mariens offenbarte. Eine größere apostolische Tat können wir ohne Zweifel nicht vollbringen, ein kostbareres Erbe unseren Nachfolgern nicht zurücklassen, als wenn wir unsere Herrin und Gebieterin bewegen, hier in besonderer Weise ihren Thron aufzuschlagen, ihre Schätze auszuteilen und Wunder der Gnade zu wirken.

Sie ahnen, worauf ich hinziele: Ich möchte diesen Ort gerne zu einem Wallfahrts, zu einem Gnadenort machen für unser Haus und für die ganze deutsche Provinz, vielleicht noch darüber hinaus. Alle, die hierher kommen, um zu beten, sollen die Herrlichkeit Mariens erfahren und bekennen: Hier ist wohl sein. Hier wollen wir Hütten bauen, hier unser Lieblingsplätzchen.

Ein kühner Gedanke, fast zu kühn für die Öffentlichkeit, aber nicht zu kühn für Sie. Wie oft war in der Weltgeschichte das Kleine und Unansehnliche die Quelle des Großen und Größten. Warum sollte das bei uns nicht auch der Fall sein können? Wer die Vergangenheit unserer Kongregation kennt, dem wird es nicht schwer, zu glauben, daß die göttliche Vorsehung mit ihr noch etwas besonderes vorhat.

Während ich dieses ausspreche, meine lieben Sodalen, fühle ich, daß ich den rechten Ton getroffen. Ihre Herzen haben Feuer gefangen. Sie haben meinen Plan zu dem Ihrigen gemacht. Getrost lege ich ihn und seine Ausführung in Ihre Hand und trage keine Bedenken, ihn in unsere Chronik einzutragen. Spätere Generationen mögen dann über uns zu Gerichte sitzen.

Ob wir unser Ziel erreichen?

Soweit es auf uns ankommt – und das spreche ich jetzt nicht mehr schwankend und zweifelnd, sondern mit voller Zuversicht aus –, wir alle, meine lieben Sodalen, werden es an nichts fehlen lassen. Wie für unsern zweiten Patron, den hl. Aloysius, eine Muttergotteskapelle in Florenz, so soll für uns diese Kongregationskapelle die Wiege der Heiligkeit werden. Und diese Heiligkeit wird unserer himmlischen Mutter sanfte Gewalt antun und sie zu uns herniederziehen.

Es war vor mehr als fünf Jahrhunderten. In blutigem Kriege zerfleischten sich Engländer und Franzosen. Schon steht Frankreich auf dem Punkte, gänzlich vernichtet zu werden. Zur selben Zeit ringt ein einfaches französisches Dorfmädchen in eifrigem Gebete zur Gottesmutter um Rettung ihres Königs. Plötzlich erscheint ihr der Erzengel Michael und spricht zu ihr: „Diejenige, die der große Gott als seine Mutter anerkennt, hat mir befohlen, zu dir zu kommen und dir anzukündigen, daß du das Schwert ergreifen, deinen Leib in Eisen hüllen und die Sache der Gerechtigkeit verteidigen sollst. Du wirst die Stadt Orléans von den Feinden befreien und den König nach Reims zur Krönung führen. In der Katharinenkirche zu Fierbois liegt hinter dem Altare ein Schwert begraben: das lasse erheben und umgürte dich damit.“

Das Mädchen hieß Johanna d'Arc, in der Geschichte bekannt unter dem Namen Jungfrau von Orléans. Pius X. hat sie im Mai 1909 selig gesprochen. Es ist mir, als ob Unsere Liebe Frau in diesem Augenblicke hier im alten Michaelskapellchen durch den Mund des heiligen Erzengels zu uns spräche:

„Macht Euch keine Sorge um die Erfüllung Eures Wunsches. Ego diligentes me diligo. Ich liebe die, die mich lieben. Beweist mir erst, daß Ihr mich wirklich liebt, daß es Euch ernst ist mit Euerm Vorsatze. Jetzt habt Ihr dazu die beste Gelegenheit.

Nach dem Plane der göttlichen Vorsehung soll der Weltkrieg mit seinen mächtigen Impulsen für Euch ein außerordentlich förderndes Hilfsmittel sein für das Werk Eurer Selbstheiligung. Diese Heiligung verlange ich von Euch. Sie ist der Panzer, den Ihr anlegen, das Schwert, mit dem Ihr Euer Vaterland von seinen übermächtigen Feinden befreien und an die Spitze der alten Welt stellen sollt.“

Sehen Sie da, meine lieben Sodalen, die tiefgreifende Bedeutung des gegenwärtigen Krieges für die Zukunft unserer Kongregation und unserer Kapelle. Alles hängt ab von unserer standesgemäßen Vollkommenheit. Für diese aber ist der Krieg

1.) ein außergewöhnliches Förderungsmittel,

2.) ein durchaus würdiger Gegenstand der Betätigung.

Diese beiden zeitgemäßen Gedanken wollen wir nun etwas näher erwägen.

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