> Kapitel 1 - Am Rhein

1. Am Rhein

Einleitende Gedanken – Am schönen Rhein.

“Strömt herbei, ihr Volkerscharen, zu des deutschen Rheines Strand!“

Ein Hochgefühl der Freude und Lust ergreift den munteren Wanderer am schönen Sommertag, da es ihm zum ersten Male beschieden, den alten Vater Rhein, das ziel seiner Sehnsucht zu begrüßen. Ein leises geheimnisvolles Zittern erfasst ihn, und er fühlt gleichsam den Druck der ihm zu herzlichem Gruße dargebotenen sehnigen Rechten des gewaltigen Flussgottes. Jubelnd vor Wonne und strahlend vor Glück eilt er ans felsige Ufer, blickt hinunter in die grünen Fluten und hinauf zu den rebenumrankten Höhen, und die wogenden Gefühle reißen sich los aus der gehobenen Brust zu einem Freuden- und Jubelgesang: „Am Rhein, o wie herrlich, am Rhein, o wie schön!“ Jetzt ahnt er den Sinn des „Märchens aus uralten Zeiten“, die Zaubermacht des gewaltigen Stromes, welche das gemütvolle Herz gleichsam im Banne hält für Lebenszeit.

Und in der Tat, wer vermöchte den Rhein mit seinen Bergen und Tälern, seinen Burgen und Klöstern jemals vergessen! Schottlands einsame, melancholische Berge, das liebliche Land Sir Walter Scott’s machen einen tiefen Eindruck auf den Wanderer; die Dichter rühmen den blauen Himmel des Südens und Neapels wundervolle Schönheit, - der Rheinstrom aber vereinigt alle Vorzüge in sich und übertrifft all diese besungenen Eden. Er ist des Deutschen Stolz und seiner Ahnen heiliges Erbe. Wir freuen uns an seinen Ufern, und sind wir ferne, so sehnen wir uns nach einer glücklichen fröhlichen Wiederkehr.

Besonders die Strecke von Mainz bis Bonn und vor allem von Bingen bis Koblenz ist unerreicht schön. Ich weiß nicht, was vorzuziehen ist, eine idyllische Fahrt mit dem Dampfschiffe oder die langsamere, genussreichere Fußwanderung. Alle hundert Schritte sozusagen ein neues Landschaftsbild, eine andere moosbedeckte Burgruine, ein anders blühendes Dörfchen oder Städtchen, ein anderer besserer Wein. Bunte Sagen schlingen sich um Burg und Kloster und versetzen uns zurück in längst vergangene Zeiten des Rittertums und der Klosterschulen. Von Rüdesheim bis Koblenz allein ragen gegen ein Viertelhundert pittoreske Ruinen in die Lüfte. Es sind in Rüdesheim die Niederburg und die Brömserburg. Auf letztere bezieht sich die Sage vom Ritter Brömser und Gisela. Gegenüber, oberhalb Bingen, steht die Burg Klopp mit römischen Grundmauern. Dann folgt das Binger Loch, ein Loch in geologischer, landschaftlicher, nautischer und meteorologischer Beziehung mit dem Mäuseturm und der gegenüberliegenden Ruine Ehrenfels; darauf das wundervolle Schloss Rheinstein und weiter die Falkenburg. Unterhalb Niederheimbach die  Burg Sooneck und bei dem Dorfe selbst die Ruine Honeck. Oberhalb Lorch, auf zackigem Felsen steht die Burg Nolligen, wovon die Sage vom Felsenritt im Wispertale. Gegenüber um die Burg Fürstenberg wächst trefflicher Wein. Bacharach mit der Stahleck war im Mittelalter Stapelplatz der kostbaren Rheinweine. Bei Caub ragt mitten aus dem Strome der sagenumwobene Pfalzgrafenstein mit seinen 25 Türmchen. Oberhalb des Städtchens grüßt das Schloss Gutenfels zu den gewaltigen Trümmern der Schönburg hinüber. Weiter unten spielten in alter Zeit die Burgen Katz und Maus ein gar ernstes Spiel. Bei Goarshausen liegen die Reste von Rheinfels. Bei dem lieblichen Wallfahrtsorte Bornhofen erheben sich stolz und trotzig die „feindlichen Brüder“ Sterrenberg und Liebenstein. Die gewaltige Marksburg bei Braubach ist die besterhaltene der Rheinburgen. Das efeuumrankte Lahneck war einst Sitz der Tempelherren. Gegenüber erhebt sich Schloss Stolzenfels. Einen vorläufigen Abschluss dieser Recken aus alter Zeit bildet die Festung Ehrenbreistein.

Wer am Niederwald-Denkmal gestanden und mit der gewaltigen Germania, der Hüterin des Rheins, hinausgeschaut in das weite, schöne deutsche Land, wer vom „deutschen Eck“ in Koblenz, dem Passau des Rheines, hinaufblickte zu den rötlichbraunen, trotzigen Felsen des Ehrenbreitstein, und wer das Weltwunder, den Dom zu Köln mit seinen himmelanstrebenden Türmen und Pfeilern gesehen, der wir die Begeisterung begreifen, welche den Deutschen für seinen Rhein erfüllt, und die Sehnsucht, die ihn in weiter Ferne ergreift, zurückzukehren zu seinen Rebenhügeln, zum Lande der schönen Poesie.

In dieser Begeisterung unternehmen wir es, ein kleines Bild zu zeichnen, nicht einer stolzen Burg, sondern eines stillen, einsamen, fast vergessenen Klösterleins in einem lieblichen Seitentale des Rheines.

 

Landkarte